Panorama der verlorenen Unschuld

Die Arbeit «Terra deposita» von Peter Maurer irritiert. Auf den ersten Blick wirken die dargestellten Landschaften harmlos, teilweise sogar idyllisch und malerisch. Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass sich die unspektakulären Bilder von Wiesen, Waldrändern, verlassenen Strassen oder menschenleeren Anlagen nicht recht einordnen lassen. Nur schon der ungewöhnliche Bildausschnitt lässt Fragen aufkommen: Was ist hier zu entdecken? Woran soll man sich orientieren? Und darf man sich auf die unmittelbare, erste Wahrnehmung verlassen? Dazu kommt das eigenartige Licht, das auch die zeitliche Verortung erschwert; ist es früh oder spät am Tag? Die unwirklich scheinende Atmosphäre, erzeugt durch lange Belichtungszeiten bei sehr wenig Licht, wirkt weder natürlich noch künstlich. Sie lässt das Gefühl aufkommen, dass hier etwas nicht stimmt – in jeder Fotografie schwingt etwas Rätselhaftes, Verwirrendes mit. Peter Maurer hat eine eigenständige Sprache gefunden, um seiner eigenen Beunruhigung Ausdruck zu verleihen. Konsequent angewendet, verwandelt sich sein Inventar «belasteter Standorte» in ein Panorama der verlorenen Unschuld. Die fotografierten Landschaften machen bewusst, dass die durch menschliches Tun verursachten Schäden im wörtlichen Sinn viel tiefer gehen als wir es wahrhaben möchten. Für das Auge fast unsichtbar, lassen sie sich leicht verdrängen – und sind gerade darum unberechenbarer als viele Umweltprobleme, die unsere Aufmerksamkeit sofort auf sich ziehen. Was für die «belasteten Standorte» gilt, deren Vergiftungsrad nur durch präzise Messungen erfasst werden kann, lässt sich auf viele Bereiche unseres Alltags übertragen: Ist der Mensch überhaupt in der Lage, die weitreichenden Folgen seines Handelns zu erkennen? Je länger man die Fotografien von Peter Maurer betrachtet, um so mehr beginnt man an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln.

Peter Pfrunder (Direktor Fotostiftung Schweiz, Winterthur)